Freitag, 25. November 2016
3.) Hase
Vor elf Jahren, also da war ich neun, gingen wir mit dem Hund raus, ich wollte unbedingt auch mal die Leine halten, wurde doch meiner Freundin mein sehnlichster Wunsch erfüllt.
Der Himmel war grau und das Licht normal, nicht grell, nicht düster.
Wir gingen die Auffahrt hoch und hinter dem Tor bogen wir in den Weg ein, der ungefähr einen Meter breit war.
Wir wollten den Weg nehmen, der an den Stegen lang läuft, wo die Ruder-und Segelboote im Wasser schaukelten und wo eine ruhige verlässliche Bewegung in der Natur ist.
Wir redeten und der Hund suchte sich seine Stellen.
Auf der einen Seite, anfangs dunkelten noch dicht beieinander stehende, große Tannen den Weg, lagen bald Ferienhäuser, Lauben und der Himmel war frei. Die andere Seite war bewachsen mit Schilf, das so hoch ragte, dass wir, vor allem ich, nicht hinüber auf den See schauen konnten.
Der Weg endete in einer Grasfläche und wir waren an den Stegen angekommen.
Wenige Boote waren angebunden, wir blicken auf das Wasser und gingen ein Stück über die Holzplanken ins Freie.
Wegen dem Hund gingen wir, schneller als es mir lieb war, wieder runter.
Im hinteren Bootsbecken schwammen Seerosen, leider ohne Blüten, aber für mich, ein Kind aus der Stadt war das etwas Besonderes. Seerosen kannte ich nur aus Märchen und meinen Vorstellungen.
Die Blätter schwammen knapp unter der Wasseroberfläche und waren schmutzig grün.
Wir setzten uns auf den Steg und sahen eine Weile ins dunkle Wasser, da bewegte es sich ein wenig und etwas kam in unseren Blick.
Später fällt mir ein das ich es schon von weitem unscharf erkennen konnte, ich dachte vielleicht könnte es ein Otter sein.
War es nicht, es war ein toter Haase, der auf dem Bauch im Wasser dümpelte. Seine großen Ohren waren an den Nacken angelegt und er hatte alle Viere von sich gestreckt, das Gesicht im See verborgen. Er sah unverletzt aus, das hellbraune Fell lag glatt und nass, wie gekämmt in einer Richtung.
Der Hund zog wieder an der Leine, er hatte etwas, etwas Lebendiges in einem Gebüsch gewittert.
Jule wollte auch weg, ich fragte sie was mit dem Hasen passiert sei. Sie meinte, den hat bestimmt ein Vogel gefangen und ihn dann hier fallen gelassen und dann ist er ertrunken.
Ich merkte, dass sie lieber nicht weiter darüber nachdenken wollte.
Ich gruselte mich zwar doch spannend fand ich es trotzdem, nie hätte ich es gewagt mir einen Stock zu nehmen und damit den Hasen zu berühren, doch wie er auf der anderen Seite aussah, interessierte mich sehr.


Mit sieben Jahren war ich mal mit meiner Mutter auf Kur und ich spielte jeden Tag mit den anderen Kindern, die da waren.
Es gab einen kleinen Wald und dahinter ein Feld, neben dem Kurgelände.
Einmal gingen wir auf dem Weg zum Feld durch das Wäldchen und fanden einen Igel der vor uns auf dem Trampelpfad saß.
Aus Sorge jemand könnte ihn übersehen und auf ihn drauf treten, aber auch weil wir einem „Wilden“ Tier nah sein wollten, wickelten wir ihn in meine Fleeszacke und trugen ihn ins Unterholz. Ich konnte seine Stacheln leicht durch den Stoff spüren, der Igel hatte sich sofort eingerollt, als wir an ihm dran waren.
Es war ein früher Abend im Sommer und die Weite die uns endgegenstreckte, als wir aus dem Wald traten, war unerwartet und einnehmend. Eine leuchtend gelbe Freiheit die sich am blauen Himmel stieß.
Wir gingen los und erkundeten.
An einer Stelle, an der die Halme großflächig geerntet waren, lag ein großer Ast, seine Zweige ragten sich nach oben.
An zwei, nah bei einander gewachsenen Zweigen hing ein Kaninchenkadaver. Je ein Stück Holz ragte aus einer leeren Augenhöhle hervor. Er bewegte sich leicht im Wind, die Ohren standen schräg vom Kopf ab, das Fell war dunkelbraun mit hellbraunen Tupfern, wir sahen alle hin obwohl es furchtbar aussah.
Daran musste ich denken, als wir weiter spazierten.
Und daran, wie ein, in meiner Vorstellung, Weißkopfseeadler mit dem großem Hasen unter blauem Himmel flog, ihm das Tier aus den Krallen gleitete und im Wasser ertrank.
Da hatte der Tod ja keinem was gebracht.
Sechs Jahre später lag ich in meinem Bett und schaltete mich durch das Samstagmorgenprogramm im Fernsehen, ich landete schließlich auf ZDF Kultur, wo gerade eine Aufzeichnung eines Theaterstückes lief.
Ich guckte in den Text: „Eine Kirche der Angst vor der Fremde in mir“. –Bei Theater und Büchern gehe ich nach Titeln, sind sie aufregend und besonders, kaufe ich mir eine Karte, meistens ohne etwas darüber gelesen zu haben, etwas oberflächlich vielleicht, aber bis jetzt habe ich es nur selten bereut und ich kann mich so besser entscheiden.- Also bleibe ich bei dem Sender.
Auf der Bühne sah es auf den ersten Blick auf eine schlichte weise unordentlich aus, die ich nicht richtig erklären kann.
Auf der einen Seite stand, hinter einem Weiß und durchscheinbaren Vorhang, ein Bett aus Stahl auf dem eine schmutzig, helle Matratze lag. Auf der anderen Seite standen ein Tisch und zwei Stühle, ganz genau weiß ich es nicht mehr. Dahinter lief ein Film an der Wand. Später wechselte der Spielort in eine Kirche.
Das Licht war gedämmt und die Bühnenwände, Stühle und Tisch waren dunkel.
Der Film zeigte ein Zeitraffer von einem verwesenden Hasen, in Sekunden flogen Tausend Fliegen und krabbelten Hunderte von Maden und löste der Hase sich auf.
Ich fing an mit zuschreiben, zu der Zeit war ich auf Satzsuche, alles was mir besonders schön kam schrieb ich auf, oder merkte es mir, aus Büchern, Theaterstücken, Gesprächen...
Das ist die Welt, sie steht und sie fällt sie rollt, sie ist wie aus Glas.

Vier Jahre später stand ich in einem betriebslosen alten Operationssaal, der noch für uns Kulisse sein durfte und wurde von Schlingsiefs gutem -oder sogar besten?- Freund angeschrien, das ich ihm falsche Brötchen gekauft hätte, von seinem Geld (fünf Euro), wie er mehrmals betonte.
Ich ließ es aus mich zu erklären, weil Erklärungen eh nie jemand hören wollte und Rechtfertigungen schon gar nicht.
In dem Rhythmus, dieser Geschichte liegt etwas, nämlich das man nur das entweder oder kennt, aber nie alles zusammen.

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